Ohne geht gar nicht

Ohne geht gar nicht

by Stephan Rykena                  

Das Cafe Dölmen war gut gefüllt an diesem warmen Oktobertag. Paul begrüßte mich kurz mit einem Grinsen, das mir sagte, es war wieder passiert.

Seit er diesen Bürgerbus fuhr verging eigentlich kaum eines unserer Treffen ohne Geschichte.

„Du glaubst es nicht“, sagte er,während er seine Jacke auf den Nachbarstuhl legte. „Gestern hatte ich tatsächlich einen Vogel.“

Ich runzelte die Stirn und grinste ihn dann an. „Hast du den nicht immer?“, sagte ich schnippisch und nippte an meinem Cappuccino.“Manchmal sogar einen ganzen Schwarm.“

Er schüttelte den Kopf und bestellte einen Latte Macchiato.

„Nein wirklich. Gestern war im Bus ein Rotkehlchen. Vier Fahrgäste und ein Rotkehlchen. Total irre.“ Er wuchtete seinen nicht unerheblichen Körper auf einen der Holzstühle und lachte.

„Keine Ahnung, wie der da reingekommen ist. Wir haben den Vogel dann am Bürgerpark rausgescheucht.“

„Hatte der denn überhaupt eine Fahrkarte?“

Paul sah mich überrascht an. „Ne Fahrkarte? Was soll das denn jetzt?“

Ich grinste ihn frech an. „Ne Fahrkarte eben“, sagte ich. „Sonst seid Ihr doch auch so pingelig und nehmt von Leuten, die nur eine Station fahren den vollen Preis. Das hast du mir selbst erzählt. Der Vogel hätte ja zumindest ne Kinderfahrkarte benötigt, weil man ja davon ausgehen kann, dass so ein Rotkehlchen gar nicht älter als 6 Jahre wird.“

Die Kellnerin servierte Pauls Latte Macchiato und er war immer noch total perplex.

„Hätt ich mir ja denken können, dass dir gleich so ‘n Mist einfällt“, sagte er schließlich als er sich wieder gefangen hatte. „Ich erzähl dir eine nette Geschichte und du………..“

„Ich finde die Geschichte ja auch total nett“, sagte ich empört, „genau wie die von dem Typen ohne Gebiss, die Johanna mir neulich erzählt hat. Aber man wird ja wohl mal………“

„Von dem Typen ohne Gebiss?“ unterbrach er mich und runzelte die Stirn. „Die kenn ich ja noch gar nicht.“

Ich ließ ihn ein wenig zappeln und sah mich, Cappuccino schlürfend, im Café um.

Paul saß total aufrecht da, wie ein Kind, dem man eine Gute-Nacht-Geschichte versprochen hat.

„Also“, hob ich wichtig an. Johanna fuhr neulich so nichtsahnend die Deisterallee runter, als plötzlich auf freier Strecke ein älteren Mann wild mit den Armen fuchtelte und ihr bedeutete, anzuhalten. Eigentlich darf man ja gar nicht auf freier Strecke anhalten, wie du mir ja mal wichtig erzählt hast, aber sie vermutete einen Notfall und fuhr rechts ran.

Schnaufend sei der Typ dann an die Bustür gekommen und habe sich überschwänglich bedankt.

Er habe sich dann hinten auf einen Sitz geschleudert und fürchterlich heftig geatmet.

Als sie dann weiter zum Kurpark fuhr, habe er verwundert gefragt, wo sie denn hinfahre, er wolle doch zu Rehaklinik, um seine Frau zu besuchen.

Johanna hat ihm dann erklärt, dass sie noch die Runde am Kurpark vorbei zum Felsenkeller fahren würde,  bevor sie dann wieder auf die Robert-Koch Straße stieße und zur Klinik fahre.

„Dann hätt ich mich ja gar nicht so beeilen müssen“, schnaufte er und putzte sich die Nase. „Dann hätt ich ja auch am Felsenkeller einsteigen können. Ich musste nämlich nochmal zurück ins Haus, weil ich mein Gebiss vergessen hatte und meine Frau schimpft immer, wenn ich sie ohne besuche.“