Ein ganz normaler Tag im Bürgerbus

Ein ganz normaler Tag im Bürgerbus

by Stephan Rykena Oh nee, was ist das denn?

Mitten in einem Meer von riesigen  Plastiktragetaschen stand ein schwarzhaariger älterer Mann in einem abgetragenen braunen Anzug und hielt die Hand hoch.

„Sie fahren Marktplatz?“, fragte er und hievte die zum Teil schweren Taschen auf den Platz, der eigentlich für Rollstühle vorgesehen war, während ich ihm erklärte, dass das eine lange Reise mit längerem Halt am Bahnhof würde.

„Egal. Wie viel?“ Er legte einen 5 Euroschein auf die Kasse, ignoriert das Rückgeld  und setzte sich neben seine Taschen.

Die beiden anderen Fahrgäste blickten etwas irritiert von ihren Handys hoch.

Am Erlenweg rollt mir plötzlich aus einer Einfahrt ein Mann in einem Rollstuhl vor die Motorhaube. Seine Frau kreischt und schlägt die Hände vor’s Gesicht. Sie hat beim Schieben die Kontrolle über das Gefährt verloren. Dank Tempo 30 schaffe ich es, den Bus zum stehen zu bringen, bevor etwas passiert. Das heißt, so ganz stimmt das nicht. Im Bus hat der schwarzhaarige die Kontrolle über seine Taschen-Armada verloren. Sie rollen unkontrolliert im Bus herum. Beinahe panisch rafft er alles wieder zusammen und weiter geht es. Im Spiegel sehe ich  seine nervösen Augen über die Taschen kreisen.

Am Bahnhof steigen die beiden Frauen aus und verlassen kopfschüttelnd den Bus. Und auch der dunkle Typ hat es sich anders überlegt. Mit kräftigem Griff packt er seine Taschen und verlässt, ohne Gruß,  den Bus Richtung Bahnsteig. Ich sehe ihm nach und bin froh ihn los zu sein. Irgendwie merkwürdig das Ganze.

Minuten vergehen, während ich mir einen Kaffee einschenke und meine Listen vervollständige.  Dann fährt  eine S-Bahn ein und ein paar Stammgäste laufen auf den Bus zu.

„Was ist das denn?“, lacht Ludwig, der immer um 16.30 Uhr gut gelaunt aus Hameln kommt, und zeigt auf den Boden hinter mir.  „Hast du hier ein Schwein geschlachtet?“

Ich drehe mich lachend um, weil ich natürlich glaube, dass er mich auf den Arm nehmen will.

„Da ist alles voller Blut!“

Dann sehe ich es auch. Genau an der Stelle, wo die Taschen des merkwürdigen Typs gestanden haben, ist ein großer roter Fleck. Ziemlich ekelig!

Ich erkläre Ludwig den Hintergrund und krame einen Lappen hervor. Glücklicherweise gibt es noch ein paar Pfützen vom letzten Regen draußen, so das ich alles mit dem nassen Lappen wegwischen kann.

„Der hatte bestimmt ne Leiche in den Tüten“ lacht Ludwig und wirft sich gackernd auf einen der Sitze, während die anderen Fahrgäste nur zögernd hereinkommen.

Auch mir ist irgendwie die Leichtigkeit abhanden gekommen und ich entsorge den Lappen im Mülleimer vor dem Bahnhof.

„Den musst du behalten“ sagt Ludwig lachend. „Das ist doch ein Beweismittel, wenn die Polizei dich morgen wegen der Leiche fragt.“

Ich starte den Bus und wir rollen Richtung Stadt, wo ich schließlich allein im Bus bleibe, nachdem alle ausgestiegen sind. Nachdenklich sehe ich mir noch mal die Stelle auf dem Fußboden an wo der Blutfleck gewesen war.

…und was ist, wenn ich morgen in der Zeitung lese, dass man in Bakede eine Leiche gefunden hat, bei der der Kopf fehlt?