So alt wie man sich fühlt

So alt wie man sich fühlt

by Stephan Rykena

Mühsam schlurft die alte Frau mit dem Rollator an die Bustür und sieht mich mürrisch an.

Blitzschnell eilen ihr helfende Hände entgegen. Die junge Frau, die hinter den beiden schicken Damen im Bus gesessen hat, erklärt der Alten, dass sie Altenpflegerin sei. Sie könne ihr vertrauen.

Schnaufend schleudert sich die Neuangekommene auf einen Sitz, während die junge Altenpflegerin ihren Rollator verstaut.

„Das Leben ist ganz schön schrecklich, wenn man so alt ist , junger Mann“, sagt die Alte zu mir und lässt mir durch die Altenpflegerin das Fahrgeld überbringen.

Die beiden agilen Seniorinnen hinter ihr lächeln milde.

„Wie alt sind Sie denn?“, will eine der beiden mit einem kecken Unterton wissen.

„81“ schnauft es auf dem vorderen Sitz. “So alt wird kein Schwein, sagt mein Sohn immer.“ Sie lacht hämisch über ihren eigenen Witz.  “Alles nur noch Krampf!“ Sie macht eine resignierende Handbewegung.

Die elegantere der beiden Damen beugt sich grinsend zu ihr vor.
„Ich bin 89“, sagt sie „und ich find’s prima. Meine Freundin hier ist sogar schon 91. Wir wollen nach Hannover zum Weihnachtsmarkt zum Glühwein trinken. Man muss nicht alles immer so negativ sehn. Im Plattdeutschen gibt es einen schönen Spruch dafür. Kiek in de Sünn und nich in’t Muuslock. Das ist meine Devise.

Das Schnaufen wird leiser. Die Missmutige ist verstummt.

„Nur gut, dass es diesen Bus gibt“, sagt die 91 jährige fröhlich in meine Richtung. „Da kann man endlich wieder richtig um die Häuser ziehen, wie wir früher immer gesagt haben.“

Sie lacht und ich denke: Recht so.
Mein Tag hat sich jedenfalls gelohnt.